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Aktivitäten - 2001
Protokoll eines Vogelspinnen-Bestimmungskurses
von Volker von Wirth
Vor
gut zwei Jahren traten einige Besucher der Vogelspinnen IG Stuttgart mit der
Bitte an mich heran für Interessierte einen Vogelspinnen-Bestimmungskurs
abzuhalten. Sie hatten erfahren, dass ich vor 4 Jahren einen mehrtägigen
Bestimmungskurs für die damaligen Besucher der Vogelspinnen IG ,die zu
diesem Zeitpunkt noch Vogelspinnenstammtisch Stuttgart hieß, abgehalten
hatte. Dieser wurde von den Anwesenden gerne besucht.
Dieser erste Bestimmungskurs wurde an 5 Sonntagen á 5 Stunden/Tag
abgehalten. Von den 6 Besuchern dieses Kurses haben sich immerhin bis heute
zwei sehr intensiv mit der Systematik der Vogelspinnen beschäftigt. Der
jetzt gewünschte Bestimmungskurs sollte in ähnlicher Art und Weise
abgehalten werden. Unser Problem bestand aber zunächst darin, dass die
Zahl der Interessenten ca. 15 Leuten waren. Da wir zur Durchführung eines
solchen Bestimmungskurses auf jeden Fall Binokulare benutzen mussten, wurde
zunächst überlegt woher wir eine entsprechende Anzahl dieser Geräte
besorgen konnten. Letztendlich wurde dann der Beschluss gefasst 5 Binokulare
für die Vogelspinnen IG zu kaufen, die von Herrn Simon Holder verwaltet
werden und für Bestimmungszwecke den „Mitgliedern“ der Vogelspinnen
IG zur Verfügung gestellt werden. Damit war das wesentliche Problem gelöst.
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Der Bestimmungskurs soll einen Einblick in die aktuellen Arbeitsweisen der
phylogenetischen Systematik bieten. Sowohl die sichere Geschlechtsbestimmung
anhand von Exuvien und/oder toten Exemplaren als auch die verschiedenen Strömungen
in der Systematik werden hier gelehrt. Es war klar, daß wir zur Umsetzung
dieser Ziele weit mehr als einen Tag brauchten und so wurden folgende Termine
zur Durchführung des Vogelspinnen-Bestimmungskurses angesetzt (jeweils
von 14 - 17 Uhr): Sa 17.03.2001, Sa 31.03.2001, So 08.04.2001, So 22.04.2001.
Ein Zusatztermin am Sa 19.05.2001 sollte die Möglichkeit geben das Gelernte
nochmals zu üben und zu vertiefen.
Zunächst wurde den Teilnehmern ein Überblick über die aktuellen
Arbeitsweisen in der zoologischen Systematik gegeben und es wurden die Begriffe
Phylogenie, Systematik und Taxonomie erklärt. Es
wurde hierbei besonderer Wert auf die Merkmalsbewertung durch die Homologiekriterien
nach Remane (1961) und die damit einhergehenden Unterschiede in der Stammbaumerstellung
des phylogenetischen und phänetischen Kladismus gelegt. Es wurde beschrieben
wie man Stammbäume durch Schwestergruppenvergleich findet, welche Rolle
Computerprogramme hierbei spielen, welche Computerprogramme gebräuchlich
sind und was in diesem Zusammenhang die Begriffe Plesiomorphie, Apomorphie,
Autapomorphie und Synapomorphie besagen. Weiterhin wurden zentrale Begriffe
der phylogenetischen Systematik erklärt, z. B. das Monophylum, das Taxon,
die taxonomische Kategorie. Die Definition und die Anwendung des aktuellen
biologischen Artbegriffes wurden hierbei ebenfalls erläutert. Die Begriffe
Population und Subspezies wurden von diesem Artkonzept abgegrenzt und ebenfalls
erklärt. Weiterhin wurde vermittelt wann eine Artbeschreibung Sinn macht
und wie diese durchgeführt werden sollte. Da die Teilnehmer zukünftig
in der Lage sein sollten die Qualität der zahlreichen Artbeschreibungen
bei den Vogelspinnen beurteilen zu können wurde dieser Punkt sehr ausführlich
diskutiert.
Auf diesen theoretischen Teil, der für die Teilnehmer ermüdend
und anstrengend war, folgte der praktische Teil.
Die Teilnehmer, die vorher angewiesen wurden zahlreiche Exuvien mitzubringen,
sollten eine Exuvie heraussuchen und versuchen diese Schritt für Schritt
bis
zur Gattung durch die Bestimmungsschlüssel im Buch „Vogelspinnen“
von Schmidt zu identifizieren. Zunächst wurden auch hierfür einige
Begriffe erklärt, z.B. was ein dichotomer Bestimmungsschlüssel ist
und wie man diesen anwendet. Die Überraschung der meisten Teilnehmer
war groß, als sie sahen wie einfach doch ein Bestimmungsschlüssel
zu benutzen und zu verstehen ist. Sehr schnell mußten sie aber auch
einsehen, dass die Schwierigkeiten bei den Bestimmungsschlüsseln in der
Bewertung der dort genannten Merkmale liegen. Aus diesem Grunde gingen wir
Punkt für Punkt die Bestimmungsschlüssel gemeinsam durch. Ich erklärte
bei den jeweilig abgefragten Merkmalskombinationen in den Bestimmungsschlüsseln,
um was es sich handelt und wie die Merkmale auszusehen hätten. Nachdem
die Teilnehmer „ihre“ Exuvie auf diese Art und Weise bis zur Gattung
bestimmt hatten, erklärte ich, wie die Stelle, an der sich eine Spermathek
in einer Exuvie befinden sollte, zu finden ist. Es wurde erklärt wie
eine evtl. vorhandene Spermathek herauspräpariert werden kann, bzw. wie
eben dieser Bereich bei einem subadulten Männchen aussieht. Danach verteilte
ich an jeden Teilnehmer eine Exuvie die ich mitgebracht hatte mit der Bitte
diese nun einmal alleine bis zur Gattung zu bestimmen. Ich beobachtete währenddessen
die Identifizierung der Exuvien durch die Teilnehmer .Nur in wirklich „ausweglosen“
Situationen griff ich ein. Mit ein paar Hilfestellungen waren die meisten
Teilnehmer in der Lage diese Exuvien tatsächlich bis zur Gattung zu identifizieren.
Abschließend
versuchten die Teilnehmer dann ihre eigenen mitgebrachten Exuvien ohne meine
Hilfe (nur wenn absolut nötig) zu bestimmen. In der Abschlussdiskussion
wurde von den Teilnehmern angemerkt, dass die Technik der Identifikation gar
nicht schwer sei, allerdings die Unkenntnis über das Aussehen der Merkmale
das Identifizieren schwer mache. Es wurde vorgeschlagen einen Bestimmungsschlüssel
(im Internet oder auch als Printmedium), der die abgefragten Merkmale bildlich
darstellen soll, zu publizieren. An der Publikation eines solchen Bestimmungsschlüssels
für die Gattungen der Theraphosidae, der diese Merkmale bildlich darstellt,
wird momentan gearbeitet. Durch diesen Bestimmungskurs aufmerksam geworden
trat der Schweizer Vogelspinnenfreund Thomas Märklin mit der Bitte an
mich heran, den Vogelspinnen-Bestimmungskurs auch für die Schweizer Vogelspinnenfreunde
an einem Wochenende abzuhalten. Schon bald stand fest, dass ich am Wochenende
09/10.06.2001 die 5 Binokulare der Vogelspinnen IG einpacken würde und
für 10 Schweizer Vogelspinneninteressierte einen Vogelspinnen-Bestimmungskurs
in Glattfelden (CH) abhalten würde. Der Bestimmungskurs wurde an beiden
Tagen jeweils von 9-17 Uhr durchgeführt.
Index:
- Phylogenie: Die Aufspaltung von Populationen durch irreversible
genetische Divergenz.
- Systematik : Die Wissenschaft von der Vielfalt der Organismen
(=Biodiversität) und deren Gliederung.
- Taxonomie : Die theoretischen Grundlagen und das praktische
Vorgehen bei der Klassifikation der Organismen.
- Taxon : Eine von anderen Organismen-Gruppen unterscheidbare
und beschreibbare Gruppe, welche eine Einheit der Natur abbilden soll und
zum Element des Systems wird.
- Homologie : Übereinstimmungen eines gewissen Komplexitätsgrades,
die nicht zufällig sein können, sondern von betrachteten Organismen
aufgrund einmal entstandener Information (= Instruktion) erstellt wurden.
- Kladistik : Methodik der Konstruktion von Dendrogrammen aus gegebenen
Datensätzen unter Verwendung des Sparsamkeitsprinzips.
- Apomorphie : Abgeleitete Merkmalsausprägung.
- Plesiomorphie: Ursprüngliche Merkmalsausprägung.
- Autapomorphie : Eine Apomorphie die nur bei einer Art oder im
Grundmuster eines terminalen Taxons vorkommt.
- Synapomorphie : Der gemeinsame Besitz eines abgeleiteten Merkmals
bei Schwestertaxa.
- Monophylum : Geschlossene Abstammungsgemeinschaft.
Literatur:
- Begon,M, et al. (1997): Populationsökologie. Spektrum Akademischer
Verlag, Heidelberg
- Dzwillo,M. (1978): Prinzipien der Evolution, Phylogenetik und Systematik.
Teubner Verlag, Stuttgart
Quelle: von Wirth, V. (2001):
Protokoll eines Vogelspinnen-Bestimmungskurses. DeArGe Mitteilungen
6(10): S. 8-13.
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